Denunziation der Kamisarden durch Neubekehrte (Annonay, ND [1703?])

AUT.18.001 Denunziation der Kamisarden durch Neubekehrte / © Sammlung PRISARD
AUT.18.001 Denunziation der Kamisarden durch Neubekehrte / © Sammlung PRISARD

Formale Aspekte

(dr). Verschiedene Hinweise lassen darauf schließen, dass es sich um einen (eilig geschriebenen?) Entwurf handelt: Nebst dem fehlenden Datum sind zahlreiche Korrekturen sowie Ergänzungen und Formulierungsvorschläge [+] im Text und am unteren Seitenrand erkennbar.

Inhalt

Die drei Unterzeichnenden Lagrange, Seura und Chomel melden „Eurer Eminenz“ (auch: „Ihre Hoheit“ genannt), dass die Kamisarden die Bewohner von Annonay verpflichtet bzw. genötigt hätten, zu ihrer Sicherheit (und heimlichen Unterstützung bzw. Vorbereitung des Kamisardensaufstands in der Region) drei Kompanien mit insgesamt 300 Mann zusammenzustellen. Dabei habe man insbesondere darauf geachtet, dass keine Neubekehrten rekrutiert werden. Auch habe man dafür gesorgt, dass Neubekehrte nicht als Stadtwachen eingesetzt werden. Schließlich seien sogar Nachforschungen mit dem Ziel der Entwaffnung der Neubekehrten von Annonay unternommen worden. Dieses Schreiben macht deutlich, dass nur Protestanten, deren Loyalität zu den Kamisarden feststand, Teil der rekrutierten konspirativen Truppen werden durften. Es ist offensichtlich, dass Neubekehrten nicht getraut wird – zu Recht, wie das Schreiben deutlich macht. Die Entwaffnung der Neubekehrten soll nicht nur sicher stellen, dass diese den Aufständischen nicht gefährlich werden können, sondern auch der Bewaffnung der konspirativen Truppen oder gar der Kamisarden dienen. Da die Unterzeichnenden die Rache und Strafe des Briefempfängers fürchten, falls die Verschwörung aufgedeckt wird, bringen sie den Vorfall zur Anzeige und denunzieren so ihre ehemaligen Glaubensgenossen. Sie beteuern dabei ihre Unschuld und Nichtbeteiligung an der Verschwörung und dass sie – wie auch ihre Vorfahren – treue Untertanen und Diener des Königs seien. Das Schreiben schließt mit der inständigen Bitte, dass „Ihre Hoheit“ ihnen und ihren Unschuldsbeteuerungen Glauben schenken möge.

Adressaten

Als Adressat des Briefes kommen entweder Nicolas de Lamoignon de Bâville (1648-1724, 1685-1718 Intendant des Languedoc) oder noch wahrscheinlicher Nicolas Auguste de La Baume de Montrevel (1645-1716, seit Februar 1703 Oberkommandierender der königlichen Truppen im Languedoc) infrage. Denkbar ist ferner auch Louis Auguste de Bourbon, Herzog von Maine (1670-1736): Der illegitime Sohn von Louis XIV wurde 1682 noch minderjährig zum Gouverneur des Languedoc ernannt.

Historischer Kontext

Die Stadt Annonay liegt im Departement Ardèche und gehört zum Vivarais. Geographisch gesehen bildet sie den nördlichsten Rand des Gebietes, in dem der Kamisardenkrieg (→ Karte) stattfindet. Da die Kamisarden wiederholt den Versuch unternehmen, neue, traditionell protestantische Städte und Gebiete für Ihren Aufstand zu gewinnen, ist die Stadt Annonay von großer strategischer Bedeutung. Es ist bekannt, dass zahlreiche Bewohner der Stadt mit den Kamisarden sympathisierten und sie finanziell unterstützten. Das hier vorliegende Schreiben ist somit besonders brisant. Es zeigt, dass die Kamisarden („die Fanatiker der Cevennen“) auch in Annonay versuchten, bewaffnete Unterstützung ihres Vorhabens zu organisieren. Als Abfassungszeitpunkt des Schreibens dürfte der Februar/März 1703 gelten: In diese Zeit datieren verschiedene andere erhaltene Briefe, die auf diese Ereignisse Bezug nehmen. Der eigentliche Versuch der Kamisarden, im Vivarais einen (neuen) Aufstand anzufachen, fällt auf den Februar 1704. Er wird jedoch auf grausamste Weise niedergeschlagen. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch das Verhalten der Unterzeichnenden erklären, die aus Furcht vor der zu erwartenden (Kollektiv-)Bestrafung die Verschwörung frühzeitig zur Anzeige bringen und für sich selbst erbitten, verschont zu werden.

Übersetzung

[1]

 

Eure Eminenz

 

Die Fanatiker der Cevennen haben die Einwohner von Annonay genötigt, zu ihrer Sicherheit drei Kompanien von je hundert Mann zusammenzustellen. Diese werden befehligt durch die Offiziere der Milizen von Annonay, die vor mehreren Jahren ins Leben gerufen wurden. Und da man dabei darauf achtete, in diese Zahl keinen einzigen der Neubekehrten + aufzunehmen [+ und auch keine Neubekehrten als (Stadt-)Wache einzusetzen] und man sogar neue Nachforschungen anstellte, sie [d.h. die Neubekehrten] zu entwaffnen, eure Eminenz, glaubten wir [d.h. die Unterzeichnenden], dass unser Schweigen den Verdacht noch vermehren könnte, in welchem uns einige misstrauische [w. böswillige] Menschen wähnen, nämlich dass wir an den Machenschaften der Kamisarden und der betreffenden Einwohner von Annonay mit beteiligt sind.

 

+ und auch keine Neubekehrten als [Stadt-]Wache einzusetzen

 

[2]

 

In der Sorge um den Schutz, den Ihre Hoheit der Kommune von Annonay bislang gewährt, nehmen wir uns die Freiheit Ihnen zu versichern +, dass keiner von uns Unterzeichnenden irgendeinen Anteil an diesen Verschwörungen hat und dass wir sehr treue Untertanen und Diener des Königs sind und bereit, unsere Güter und unsere Leben in seinem Dienst hinzugeben. Wir bitten Ihre Hoheit in aller Demut inständig, uns weiterhin mit Ihrem Schutz + [+/ und Ihrer Grosszügigkeit] zu beehren, [+/ und davon überzeugt zu sein, dass wir tiefgehenden Respekt vor Ihrer Hoheit haben]. Und wir bitten Gott inständig um das Wohlergehen Ihrer Hoheit. Mit allem Respekt, den wir Ihrer Hoheit schulden, bitten wir Sie inständig uns zu glauben.

 

[Die Unterzeichnenden] Lagrange     Seura     Chomel

 

+ Ihrer Hoheit zu schreiben, dass wir [d.h. die Unterzeichnenden] keinerlei Anteil an dieser Verschwörung haben und dass wir, so wie es auch schon unsere Vorfahren waren, sehr treue Untertanen und Diener unseres Königs sind. Und wir alle sind bereit unsere Güter und Leben in seinem Dienst hinzugeben

 

+/ und Ihrer Grosszügigkeit, und davon überzeugt zu sein, dass wir tiefgehenden Respekt vor Ihrer Hoheit haben

 

Ü: BFHG

+ = Stelle, an der die handschriftliche Einfügung [+] vom Seitenende mitzulesen ist

Transkription

[1]

 

01    Monseigneur

02    Les fanatiques des cevaines ont obligé les habitans dʼannonay

03    a faire pour leur seurté trois compagnies de cent hommes

04    chacune, Commendeés par les officiers des milices, Crées

05    Despuis plusieurs années, et Comme dans ce nombre

06    ont nʼa comprins aucuns des Reunis +, et qu[ʼ]on a mesme

07    fait des Nouvelles Recherches pour les dezarmer, Nous

08    avons creu Monseigneur que nostre Silance pour[r]oit augmenter

09    la Suspection dans laquelle des personnes mal intentionnées

 

10  + non plus que dans les habitans quʼon Employe pour faire garde,

 

[2]

 

01    Nous croient +, la protection que vostre altesse accorde a la

02    Communauté dʼannonay, nous fait prendre la liberté de

03    L[ʼ]asseurer quʼaucun de nous nʼa aucune part dans ces desordres

04    et que nous sommes tres fidelles Subjests et

05    Serviteurs du Roy et prests a perdre nos biens et nos

06    Vies pour son Service nous Sup[p]lions tres humblement vostre altesse de nous

07    continuer lʼhonneur de sa protection +, et nous prierons Dieu pour sa

08    Prosperité la suppliant de nous croire avec tout le

09    Respect que nous Devons [à] vostre altesse

10  Lagrange                            Levrat

11                                                   Chomel de […?]

 

12  + ce qui nous a fait prendre la liberté dʼesclaircir

13  [à] vostre altesse que nous nʼavons aucune part

14  dans ces desordres, et que nous sommes comme lʼont toujours esté

15  nos ayeuls tres fideles sujets et serviteurs de nostre Roy, et tout

16  prests à perdre nos biens et nos vi[es] pour son service, nous

 

17  + et de sa bienveillance, et dʼesté persuadé que nous sommes avec

18  un très profond respect du [à] vostr[e] altesse

 

19  Monseigneur

 

[3]

 

01   Lettre de quelques

02   n[ouveaux]. reunis

03   dʼannonay

Weitere Empfehlungen

Karte