[Servan] Discours de Mr. Servan ... dans la Cause d´une Femme Protestante (Genève/Grenoble, 1767)

© Sammlung PRISARD
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Joseph Michel Antoine Servan:

Discours de Mr. Servan, Avocat-Général au Parlement de Grenoble, dans la Cause d´une Femme protestante

Erörterungen von Herrn Servan, Generalanwalt am Parlament von Grenoble, im Gerichtsfall einer protestantischen Ehefrau

Gerichtsurteil des Parlaments von Grenoble in der Sache Marie Robequin gegen ihren Ehemann Jacques Roux.


(dr). Am 23. April 1764 unterzeichnen die beiden Protestanten Jacques Roux und Marie Robequin in Anwesenheit ihrer Eltern und Schwiegereltern heimlich einen Ehevertrag – entgegen geltendem Recht, das protestantische Ehesch-ließungen verbietet. Ein protestan-tischer Geistlicher segnet anschließend den Ehebund.


Nach einem Jahr, im April 1765, wird das erste gemeinsame Kind geboren, doch entfremden sich die beiden Eheleute zusehends voneinander. Ein halbes Jahr später, im September 1765, erstattet die Hausangestellte Louise Faure Anzeige, von Jacques Roux schwanger zu sein. Roux verlässt zur gleichen Zeit seine Ehefrau. Diese gerät dadurch in eine große Notlage und bringt 1766 das ihr geschehene Unrecht vor das Parlamentsgericht von Grenoble. Hier fordert sie nebst der Scheidung auch eine finanzielle Wiedergutmachung in Form von 1200 Livres Schadenersatz plus Zinsen sowie die Rückgabe ihrer Mitgift und die Deckung ihrer Kosten für die Zeit auf dem Wochenbett.


Ihr Ehemann Roux streitet die Forderung ab: Er erklärt, er habe der Robequin schon vor mehreren Jahren gesagt, sie könne sich verheiraten mit wem sie wolle. Denn der Ehevertrag, den sie beide geschlossen hätten, sei damals mit einem protestantischen und somit gesetzlich nicht anerkannten Ehesegen belegt worden. Folglich würde auch keine Ehe im Sinne des Gesetzes und somit auch keine Grundlage für derartige Forderungen bestehen. Roux: »Ich kenne dich nicht und du bist in Wirklichkeit gar nie meine Frau gewesen.«


Die von ihrem Mann verlassene Robequin erwartet mittlerweilen das zweite Kind von ihm. Roux ist inzwischen jedoch zum katholischen Glauben konvertiert und hat sich dank einem bischöflichen Dispens mit seiner katholischen Hausangestellten Faure verheiratet.


In diesem Aufsehen erregenden Fall entscheidet das zuständige Gericht daraufhin im Sinne der Klägerin Robequin und verurteilt den inzwischen neu verheirateten Ehe-mann: Zwar anerkennen die Richter, dass die protestantische Ehe-schließung ungesetzlich war und somit nicht als Ehe im Sinne des Zivilgesetzes gelten könne. Jedoch gebe es neben den Zivilgesetzen (»loix civiles«) noch die Naturgesetze (»loix naturelles«), wonach immer eine verbindliche Ehe vorliege, wenn ein Mann und eine Frau miteinander vertraglich einen Bund fürs Leben eingehen. Dies sei auch der Fall, wenn zwei Protestanten ihren Bund vor Zeugen und einem protestantischen Geistlichen besiegelt haben. Auch hätten beide zum Zeitpunkt und mit der Eheschließung ihren Bund als verbindlich und gültig anerkannt, selbst wenn sie mit ihrem Tun bewusst gegen geltendes Recht verstoßen haben. Dies müsse nun auch für den Ehemann Roux gelten: Er könne die Klage seiner Ehefrau Robequin somit nicht länger mit Verweis auf die zivilgesetzlich ungültige Eheschließung ablehnen.


Der Generalanwalt Joseph Michel Antoine Servan stellt ferner das Motiv und den Zeitpunkt der Konversion von Roux infrage: »Je mehr ich das Benehmen dieses Neubekehrten betrachte, desto mehr finde ich Anlass ihn zu verurteilen: Ich bin bestürzt über den Weg, der ihn zu unserer Religion geführt zu haben scheint. (…) Zwei Jahre hat er mit der Robequin zusammengelebt, wobei er in dieser Zeit eine Dienerin in seinem Haus verdorben hat – die Frucht hiervon [d.h. das uneheliche Kind] kam schon bald danach zum Vorschein. (…) In diesem Unglück bittet sie [d.h. die Ehefrau Robequin] die Justiz flehentlich um Hilfe (…) und ausgerechnet diesen Zeitpunkt wählt Roux nun für seine Konversion zum katholischen Glauben: Er tritt in unsere Kirche ein und das erste, was er von unserer Religion erbittet, ist eine zweite Frau – eine Frau, die zwischen seiner ersten Frau und ihm eine unüberwindbare Barriere bildet [bzw. bilden soll].«


Weiter führt Servan aus: »Wir müssen die Konversion von Jacques Roux respektieren. Wir können die Herzen nicht ergründen.« Servan mahnt jedoch zu einer klaren Haltung: »Wenn er also uns gegenüber seine Konversion beteuert und seinen guten Glauben, dann soll die Justiz zu ihm sagen: ´(...) Legt Rechenschaft über euer Herz ab. Ihr sagt, dass eure Konversion aufrichtig sei. Aber ihr seid selbst verantwortlich dafür, dass sie [d.h. die Konversion] von Umständen begleitet ist, die sie in unseren Augen wie Betrug aussehen lässt.´«


Zuletzt lässt Servan die Richter bedenken, dass ein Freispruch des Mannes von den Protestanten insgesamt als ein »neues Zeichen der Verfolgung« gedeutet würde. Auch dies sei bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen, damit den Protestanten eine Lektion in der wahren Religion erteilt werde.


Das abschließende Gerichtsurteil vom 6. April 1767 lautet wie folgt: Jacques Roux und sein Vater (!) müssen der geschädigten und treulos verlassenen Robequin 60 Livres für die Wochenbettkosten erstatten. Auch sind die Mitgift von 800 Livres und die von ihr in die Ehe eingebrachten Kleider und Möbel zurückzugeben. Außerdem werden Vater und Sohn Roux zur Zahlung von 1200 Livres Schadenersatz samt Zinsen verpflichtet.

 

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